Katalogtext
zur Ausstellung „Paperworks“
im
Marburger Kunstverein vom 28. Juni – 4. August 2002.
Paperworks
Emö
Simonyis Figuren - gleichsam
"MalereiSkulpturen" - beeindrucken zunächst durch die Dimension ihrer
Größe. Die teils liegenden, teils aufrecht stehend in den Raum gebauten
überlebensgroßen Figuren, können in ihrer zusammengesetzten Form Ausmaße von
mehr als drei Metern Höhe erreichen.
Obwohl
eine gewisse Abstraktion in der Wiedergabe herrscht, erfasst der Betrachter
dennoch schnell, dass es sich um menschliche Figuren handelt, die durch ihre
Monumentalität und raumgreifende Dynamik eine fesselnde Wirkung entfalten. Es
sind expressive "MenschWesen", die hier einer bewusst einseitigen
Übersteigerung in der Form unterliegen und in ihrer ganzen Dimension durch die
Ausgestrecktheit im Raum sichtbar werden.
Emö
Simonyis MalereiSkulpturen bewegen sich zwischen Raum und Fläche. Die
Skulpturen bestehen aus Kartons, die nicht als einzelnes Element ein Eigenleben
führen, sondern erst durch das Ineinanderschachteln und Übereinanderbauen der
einzelnen Teile zu einem Ganzen zusammenwachsen. Es ist ein Kubus, der den
Grundkörper für die Skulptur liefert, sich gleichzeitig aber auch als Malgrund
anbietet. So ist eine jede Seite des Kartons zunächst Fläche und Bildgrund in
einem, als solche den anderen Seiten gegenüber aber selbstständig. Es ist schon
notwendig, die Figur ganz zu umrunden, um in der Summe der einzelnen Flächen
eine Person, einen Körper ausmachen zu können. Das Auge des Betrachters ist es
schließlich, das in der Bewegung die Zusammenschau der Figur zu leisten hat.
Damit wird gleichsam eine Grundfunktion der Skulptur beispielhaft eingelöst.
Man
muss sich den Spannungen im Werk Emö Simonyis aussetzen, um ihre Kunst erfassen
zu können. Sie sieht das, was sie sieht, meist ein wenig anders als andere.
Ihre Bildsprache ist immer eine sehr persönliche, geprägt vom eigenen
Charakter, der bei jeder ihrer Gestaltungen zur Geltung kommt.
Simonyis
Arbeiten der späten 80er Jahre, ihre barockhaft anmutenden reichen,
farbintensiven und lebhaft figurativen Gemälde haben; ich um die jüngste
Jahrhundertwende weiterentwickelt, in die Dreidimensionalität bewegt und sind
zu dynamischen MalereiSkulpturen geworden. Die Wahl ihrer Mittel ist zwar
durchdacht und kalkuliert, sie lässt aber immer wieder, wie in früheren
Arbeiten, emotionale Ausbrüche zu. Die teilweise in ihren Zeichnungen und
Gemälden hervortretende "Wildheit" war immer auch der Ausdruck
"innerer Wildheit". Man kann Emö Simonyi vielleicht als eine
Einzelgängerin bezeichnen, obgleich sie mit ihren künstlerischen Wurzeln fest
in der europäisehen Kunst und Kulturgeschichte verankert ist. Sie ist zu einem
Teil mit ihrer Formensprache an den literarischen Expressionismus gebunden.
Doch sicherlich ist ihre Nähe zu der neoexpressiven künstlerischen Bewegung der
"Neuen Wilden" auszumachen. Die heftige Malerei der Neuen Wilden hat
sich bei Emö Simonyi hier von der eigentlichen Malfläche befreit und ist in die
plastische Dimension übergegangen.
Emö
Simonyi nimmt eine Dekonstruktion des figuralen Bildes vor und verstärkt die
Lebendigkeit dadurch, dass sie die Körperteile in eine Vergegenständlichung
führt. Die einzelnen Teile erfahren mittels der Kartons nun Raum und
Perspektive und beginnen in ihrer jeweiligen Umgebung für eine begrenzte Zeit
ein Eigenleben. So erhält die ganze Figur den Status eines lebendigen Subjekts,
und eine starke körperliche Präsenz zeichnet die Skulpturen aus. Auf manchen
Betrachter mag diese zeitweise auch bedrängend wirken.
Ein von
ihr über die Ecke eines Kartons gemaltes Gesicht etwa, dessen Spitze die Nase
ausbildet, folgt der vorgegebenen Form des Malgrundes und nähert sich damit
einer realen Gesichtsform an. An der Stelle, an der das Gesicht durch mehrere gestaffelte
oder zueinander verschobene Kartons entsteht, wird deutlich, wo Vorbilder
Simonyis auch zu suchen sind. Anstatt eine Form, wie die Nase etwa, nur
vorzutäuschen, stellt die Künstlerin ihre Lage im Raum von mehreren Seiten dar.
Das einer solchen Darstellung zugrunde liegende Prinzip - das der geometrischen
Zeichnung - ist auch das Prinzip des Kubismus. Dieser beschränkt sich
allerdings vorwiegend auf die Malfläche. Doch scheint in den Arbeiten Emö
Simonyis ein Aspekt zu dominieren, der beinahe das Gegenstück des Kubismus
darstellt, nämlich das expressive Moment, das die Form als gesteigerten
Ausdruck versteht.
Große
Gesten durchziehen Simonyis Arbeiten seit langem, und die gestisch bestimmte
Figuration in ihrer Bildsprache lässt die Lebendigkeit ihrer Figuren noch
stärker zum Tragen kommen. Das zeichnerische Element bezieht sie dabei aber
immer wieder mit ein.
Simonyis
Figuren und Gestalten sind in ihren Formen teilweise recht eigenwillig. Die
manchmal eindringlichen Gesten und Haltungen mit abgeknickten Körperteilen bei
liegenden Figuren oder stark verschobenen Elementen bei stehenden Figuren
prägen die Gebärdensprache der MalereiSkulpturen und rücken diese in die Nähe
von Allegorien. Die Allegorie vermittelt durch ihre ausgeprägte weltanschauliche
Gebundenheit meist einen tieferen Einblick in gesellschaftliche Verhältnisse
und Interessen. So verkörpern auch die Kartonskulpturen Emö Simonyis von
Menschen zu verantwortende Extremsituationen, wie etwa die der kriegerischen
Auseinandersetzung.
Es sind
unter anderem Arbeiten in der Ausstellung zu sehen, die zu Beginn des neuen
Jahrtausends in den Jahren 2001 und 2002 entstanden sind und die sich mit
menschlichen Grundsituationen - zum Teil mit Extremsituationen -
auseinandersetzen. Der weltweit kriegerische Beginn des 21. Jahrhunderts hat
die Künstlerin stark beschäftigt. Ihre Figuren tragen Titel wie
"Gefallene", "Ohnmacht" oder "Jüngling und Tod"
und thematisieren in ihrer übermenschlichen Größe und in der ihnen eigenen kontraststarken
Formgebung und evokativen farbigen Gestaltung ein aktuelles Thema. Eine starke
Eindringlichkeit der Figuren entsteht darüber hinaus durch teilweise
deformierte Körperteile und eine gleichzeitige Darstellung realistischer
Details. Während einerseits die Anatomie durch einzelne Rundungen oder
Ausbuchtungen unterstützt wird, verzichtet die Malerei gelegentlich auf die
Modellierung der Formen und setzt eine Zeichnung stattdessen auf die
Körperoberfläche. Es entstehen so teilweise groteske Verzerrungen, gepaart mit
einer ungeheuerlichen Farbigkeit (teilweise mischt sich Fleischfarbe mit Weiß,
Grün, Rot, Blau oder Schwarz).
Die
Gestaltung der Körper - der MalereiSkulpturen - unterliegt einer Ästhetik, die
sich an der Natur nur schwer messen lässt. Emö Simonyi hebt einzelne Körperteile
und Partien gezielt heraus, um die Bedeutung ihrer Funktion damit zu
unterstreichen: Auseinandergestreckte, verkürzte Arme deuten eine
Ausgeliefertheit an, aufgerissene Münder mit sichtbaren Zahnreihen zeugen von
Schmerz, machen aus stummen Figuren gleichzeitig aber auch sprechende Wesen.
Sekundäre Geschlechtsmerkmale wie hängende Brüste werden stark vergrößert, und
überdimensionale, geöffnete Bäuche zeigen Organe, die aus ihnen herauszuquellen
drohen. Einmal sind übergroße Hände den Figuren zugeordnet, die als
Schutzgestus gemeint sind, ein anderes Mal fehlen Hände völlig. Simonyi hat
ihre Figuren nicht bis ins Letzte festgelegt. So stark und präsent sie auch
erscheinen mögen, so zerbrechlich sind sie gleichermaßen.
Emö
Simonyi kann mit ihren Figuren auf Reise gehen. Die Frage: Und wie bekommt sie
sie hierher? stellt sich so niohi. Sie kann ihre MalereiSkulpturen, die aus
industriell normierten und von ihr bemalten Kartons bestehen, zusammenlegen.
Sie entstehen einer bestimmten Reihenfolge der Zusammenstellung gehorchend an
anderen Orten wieder neu. Ob sie in ihrer "ursprünglichen" Form dann
jewdeils wieder erstehen und erscheinen, ist nichht immer sicher - doch auch
Menschenbilder ändern sich und unterliegen einer ständigen energetischen Bewegung.
Hier kommen sie in jedem Fall zu einer Form der Ent-Faltung.
Eckhard
Froeschlin
beschäftigt sich aus einer völlig anderen Perspektive mit Menschenbildern, hat
eine andere Methode im Umgang mit der Figur als Emö Simonyi. Doch auch bei ihm
ist die Figur zentraler Bestandteil. Sie bestimmt oft seine sehr reizvollen und
farbintensiven Pastellmontagen.
Für
Froeschlin ist die Arbeit am und mit dem Bild immer ein "Planspiel".
Seine Bildformate zeichnen sich zunächst durch ihre für Pastellarbeiten
auffallende Größe aus. In seinen von ihm selbst so benannten großformatigen
Pastellmontagen entstehen Szenarien und imaginäre Räume, die für den Betrachter
nicht ohne weiteres leicht zu entschlüsseln sind. Eckhard Froeschlin formuliert
in einem Katalog einer früheren Ausstellung aus dem Jahr 1988 im Marburger
Kunstverein so: "'Pastellmontage' ist ein Hilfswort, trockene Abkürzung
für das noch trockenere, Pastell und Leimfarbe auf Papier, montiert'. So heißt
das Produkt einer Arbeitsweise, die zu Spiel wie Quälerei geraten kann und
eigentlich etwas von Bastelei mit Papierschneidebögen hat, dabei lebhafte
Kindheitserinnerungen wachrufend. In Kurzfassung. Räume, Figuren und Dinge
werden in Pastell und leimfarben verarbeitet, zusammengeschnitten und
zusammengeklebt" (Froeschlin). Und man möchte noch hinzufügen. Die
Versatzstücke, die er im Bild bewegt und so lange verschiebt, bis se die für
ihn richtige Position eingenommen haben, sind immer auch Fragmente. Und
Fra9mente, die nur einen Ausschnitt bewusst und intensiv beleuchten, führen
spätestens seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in der Kunstgeschichte ein
Eigenleben und weisen durch ihre Isolierung auf Wesentliches hin.
Eine
seiner Pastellmontagen aus dem Jahr 1996 trägt den Titel "Kleines
Narrenschiff ". Froeschlin greift hier ein Motiv auf, das sich in vielen
seiner Arbeiten wiederfindet: das Schiff. Er rekurriert hierbei kritisch
reflektierend auf "Das Narrenschiff" des Sebastian Brant; ein mit
Holzschnittillustrationen versehenes Buch, in dem der Moralsatiriker Brant im
ausgehenden 15. Jahrhundert seinen Zeitgenossen mit großer Eindringlichkeit die
Laster und Torheiten seiner Zeit vor Augen hält (u. a. Habsucht, mangelhafte
Planung, Völlerei und Pfuscharbeit). Die dort beschriebenen
"Torheiten" finden sich auch heute - freilich in einer modifizierten
Form - in dem Narrenschiff der Jetztzeit wieder, man denke nur an die
Fernsehserie "Das Traumschiff", die "Illusionsplattform"
des ausgehenden 20. Jahrhunderts. In Froeschlins Narrenschiff scheint das
bodenlose Boot manövrierunfähig. Die in die Senkrechte gekippte Nussschale
bietet den zwei Figuren zwar noch kurz vor der Außenwelt, hält seine Insassen
aber gleichzeitig fest eingeschlossen in ihrem selbstgewählten Transportmittel.
Der Steuermann versucht, neuen Grund zu finden... Das Schiff ist bei Froeschlin
in diesem Beispiel kein Hoffnungsträger, es trudelt nur noch, hat die
Fahrtrichtung verloren und wird eher zum Symbol einer "verkehrten"
absurden Welt. Die Realität des assoziierten "Traumschiffs" entspricht
auch nicht der Realität der jüngsten Vergangenheit.
Froeschlin
arbeitet mit den Mitteln der Montage und versucht dabei, seiner Wahrnehmung
entsprechend, auf eine veränderte Realität mit adäquaten Mitteln zu reagieren.
Es ist der Reiz der Kombination von ursprünglich nicht Zusammengehörendem, der
ihn zu seiner Arbeitsweise bringt. Er arbeitet in seinen Szenarien nicht mit
einer "epischen Breite" und Ausführlichkeit, um Zusammenhänge
darzustellen, sondern greift eher zu enthüllenden Zitaten, montiert aus der
Historie entlehnte Fragmente, die scheinbar wenig miteinander zu tun haben, und
beleuchtet das einzelne Faktum im neuen Zusammenhang und trägt auf diese Weise
der Komplexität historischer Prozesse Rechnung. Denn auch die Realität von
heute scheint montiert, ist aus Bruchstücken zusammengesetzt, erscheint oft
verworren, gibt sich widersprüchlich, ist nicht immer einsehbar Mit den
heterogenen Elementen und der Montageversucht Froeschlin eine neue Realität zu
konstruieren, die ebenfalls wieder nur aus Bruchstücken besteht - aber aus
gezielt ausgewählten. Die einzelnen Teile werden in Froesohlins Montagen zu
Metaphern für vielschichtigere Zusammenhänge.
In
einer weiteren Pastellmontage, einer Arbeit aus dem Jahr Z000 mit dem Titel
"Bagno 1 ", thematisiert Eckhard Froeschlin "Die Kunst der
Überfahrt". Das recht große Format seiner Arbeit zeigt etwas von der
immerwiederkehrenden Beschäftigung des Künstlers mit dem Meer, thematisiert
metaphorisch das "Abstoßen von alten Ufern" und das "Ankommen an
neuen Ufern". Dazwischen ist viel Varianz möglich-ein Ankommen ist nicht
immer gesichert. Es ist keine Illustration eines Vorganges der Nautik, eher
eine Verarbeitung von Gedanken, Visionen, Ängsten und Hoffnungen. Seine
farbintensiven kräftigen Figuren sind eher Menschen, die sich in einer existentiellen
Situation befinden. Sie sind abgeneigt voneinander, jeder ist mit sich selbst
beschäftigt und nur die zwischen ihnen treibende rechteckige Fläche, die an
eine Holzplanke erinnert, verbindet sie. Jede der Figuren ist selber auf der
Suche nach dem richtigen Weg. "Bagno 1" gehört zu einer Reihe zum
Thema "Überfahrten". Bei einigen Arbeiten lässt Froeschlin seine
Figuren aus der Wandgebundenheit der Malerei heraustreten und sie als
gemalt/montierte Pastellfigurinen den Raum besetzen. Zu diesen Arbeiten zählt
auch die knapp 2 Meter in der Höhe erreichende Pastellmontage "Übung 7
" aus dem Jahr2001. Hier "übt" eine Figur noch und steckt aus
einem kleinen Rettungsboot den Arm in einen Rettungsring, der auf der
06erfläche eines Sehwimmbassins liegt. Die in Überlebensgröße dargestellte
Figur wirkt durch ihre Freistellung zwar einerseits dramatisiert, gerät durch
den pathetisch ausgeführten Gestus allerdings gleichzeitig ins Skurrile.
Froeschlins
oft raumgreifende und skulptural wirkende Montagen und Bilder sind immer wieder
auch als Historienbilder bezeichnet worden. Doch diese sind nicht zu verstehen
als glorifizierende Werke, die in der Geschichte oft das Ziel hatten,
Gegenwärtiges durch die Berufung auf Vergangenes zu legitimieren oder ideal zu
überhöhen, sondern bei Froeschlin sind sie vielmehr eine Form der
Bildinterpretation. Sie sind auch als Bildkommentar zu seinen von ihm
"zitierten" Vorbildern zu verstehen, wie August Heuser im Katalog
seiner Hamelner Ausstellung 1992 schreibt. Es ist die Arbeitsform des
"Wieder-Denkens" und des "Widerspiegelns", bei der
Froeschlin zu neuen, zu anderen Historienbildern kommt und daraus eher eine
"Geschichtsmontage" erwachsen lässt. Eine Montage, in die
geschichtliche Ereignisse und menschliche Erfahrungen einfließen, die Aussage
bezieht sich dabei aber immer auf Gegenwärtiges.
Eckhard
Froeschlin bedient sich der Versatzstücke des historischen Stoffes, um aktuelle
Konflikte kritisch zu reflektieren. August Heuser schreibt. "(Froeschlin)
'heutigt' seine Bildvorgaben und geschichtlichen Ereignisse, auf die er sich
bezieht, nicht nur mit seinen künstlerischen Mitteln, er überträgt sie auch
inhaltlich in unsere Zeit, d. h. er interpretiert und spinnt den roten Faden
des Geschehens durch die Geschichte weiter in die Gegenwart. (...) Der
Betrachter ist dabei frei, den Assoziationen Froeschlins zu folgen, sie
voranzutreiben, oder aber am roten Faden zum Urereignis seiner Inspiration
zurückzugehen, freilich nicht ganz gradlinig". Doch Froeschlins Ansatz
liegt ohnehin dort, wo "Kunst als eingreifende Tätigkeit und das
Eingreifen als künstlerische Arbeit" (Froeschlin) zu sehen ist. Dies macht
ihn zu einem politischen Künstler.
Karin
Stichnothe-Botschafter
Britta Sprengel