"Simonyi - Papierskulpturen · Papírszobrok · Paper sculptures · Plastiche in carta",
Catalogue, Kunstverein Rosenheim - Budapest Galerie, 2000

Über eine Art der Obsession

Eine selten radikale Kunst ist die Emö Simonyis. Basierend auf einer unbeschreiblichen Vehemenz und persönlicher Aufopferung verbunden mit dem  kompositorischen Talent  charakterisiert ihre Kunst eine augenfällige Monumentalität und Gestaltungsgiganterie. Freilich ist jeder der hier aufgezählten Begriffe ein Faktor für den Zugang zu ihrer Kunst, prinzipiell  jeder  künstlerischen Gestaltung. Um das Spezifische ihrer Besonderheit auszuwählen, dem Wesen ihrer räumlichen Bilder, diesen Molochs näher zu kommen bedarf es eines kurzen Rückblicks.

Es gab plötzlich in der Welt einen Stil - vor allem in Emö Simonyis Wahlheimat - der entgegen des feinen Tons des intellektuellen bildkünstlerischen Denkens radikal alles Spartanische vom Tisch wischte, keinerlei politischen Verpflichtung zur Verfügung stand und die Kunst wieder dahin ordnete, wo man sie sehen wollte: an die Wand, besser gesagt in die Galerie. Die Kunst war wieder nicht aus einem verfänglichen Material (Ideen, Naturstoffen, Industrieresten), sondern aus den traditionellsten Mitteln: Farbe und Träger. Das Werk lebte durch die Emotionalität und nicht vom Intellektualismus. Dieser Stil kam zu Emö Simonyi und befruchtete mit ihr in untrennbarer Einheit (etwa seit Mitte der 80er Jahre)  ein überraschendes Oeuvre, das wild und gut, radikal und fabulierend, groß und vor allem bravourös wurde. Wie dieser Stil mit dem schon vorhandenen persönlichen Anliegen und Vermögen harmonieren konnte, wurde später auch in institutioneller Form anerkannt (wichtige Kunstsammlungen in Deutschland und Ungarn sind stolze Besitzer von  Werken Emö Simonyis). Künstlerisches Vermögen, Gefühlsstauungen durch Sehen und  Fühlen und Verwirklichungsdrang positionierten alles auf Leinwände, deren Formate die Farbtumulte wie regelrechte Farborgien, gepaart mit einer unerschöpflichen Fabulierlust der besonderen Art der Bildschöpfung zeigen. Das Besondere ihrer Bilder und Zeichnungen hatte sich sehr zeitig gefestigt: Es handelt sich hier um einen Diskurs mit der Kunstgeschichte, durch die Spiegelprojektion eines mitgebrachten und angeeigneten geistigen Stoffes zerlegt und verstärkt oder auch entstellt, beliebig nach der Befindlichkeit der Künstlerin, zur Ruhe oder zu endlosen Wallungen geführt. In diesen Krafttumulten braucht man gar nicht lange zu verweilen, und man merkt in den gefühlsbetont gestalteten Figurationskonglomeraten, dass bevor es zu einer Verzerrung (der endgültigen Form der Gestaltung) kam, diesen eine mit Ruhe geladene Form zu Grunde lag, die ewig gültig, im Wesen klassisch-archetypisch ist und sich allerlei Umsetzungen aussetzen kann. Durch die Spiegelung erhält der formale und narrative Gegenstand eine Aufladung, in dem aufgeladenen und damit für Gültig erklärten Gehalt moderiert die Kraft aus dem Hier und Heute, das Jetzt entsteht im Letztstadium auf der Oberhaut des Werkes, es wird aus den Tiefen des Schöpfers in Reflexhandlung gegeben. Die Motivation zur Handlung prinzipiell verstehe ich auch als eine Art Archetypus, das seit Jahrtausenden in uns trainierte Gefühl: die Ursache der Angst, den Feind aufmalen, damit das Ebenbild durch tägliches Dasein zum ebenbürtigen Kampfpartner bereitgestellt wird. Ich denke also an die Urmenschen, die vermutlich vor ihrer Jagd sich vor den Bildern des Büffels an den Büffel gewöhnten, und das Ritual der Jagd im Gefühl der Kräftegleichheit stattfinden konnte. Simonyis Wesen sind unlösbar aus ihrer Malerei; sie sind Ursache und Ziel zugleich. Metapher für scheinbar unlösbare Formprobleme, wie Laokoon, die selbst die Angstgefühle generieren. Also das ungeteilte Zweier-In-Dividuum, das Feind-Form-Verhältnis, ein Bündnis, das ich für wesensbestimmend halte in Simonyis Schaffen. Feind-Freund-artig wurden die Tausendjahre Kunstgeschichte absorbiert. Feind-Freund war die von der Akademie vorgegebene Kleinformat-Disziplin der 60er Jahre, und Freund-Feind wurde jener Moment der Ausweitung, des Ausbruchs, als sie gereift an Wissen und existenziell-emotionalen Erfahrungen den Ausbruch in die Malerei wagte. Der Stil kam zu ihr, wie ein Vogel oder ein Etikett, das plötzlich seinen Gegenstand findet.Feind-Freund-Verhältnis ist die siamesische Symbiose in ihrer Kistenkunst, seit 1998. Man fragt sich, warum es nicht eher stattgefunden hat, was hat sie davon abgelenkt? Denn wenn man Emö Simonyis konstruktiv-produktives Leben, ihre hütend-schützende Weltsicht kennt, hätte diese "Bauarbeit" eher stattfinden sollen.
Vorspiel: Ihr Anatomieunterricht an der Münchner Akademie der Künste erfreut sich besonderer Beliebtheit unter den Studenten. Sie beherrscht in Wort die hohe Kunst der Assoziation, und die verständliche Art und Weise ihrer Vermittlung macht abscheulich trockene Fakten zu handfesten, lebensnahen, ja erfahrbaren Erscheinungen. Sie hat die Gabe, aus dem trockenen System des trockenen Skeletts lebendige Konstruktionen (keine Menschen!) zu schaffen. Natur-Vor- und Abbilder leben in alltäglich erfahrbaren Systemen auf, das Knochengefüge wird in einer Weise seziert, dass jeder Knorpel, jede Leiste, jede Muskelpartie plausible Zusammenhänge verdeutlicht; frei bleibt nur die Imagination des Fleisch- und Hautgewandes, die "bemalte" Hülse der menschenähnlichen Figur.Der logische Schritt - eine Variante also - lautet, die beliebige und endlose Vielheit der realen Gestalt auf eine erbarmungslose Reduktion zurückzuführen, die bewährte Funktionslogik des Skeletts soweit zu entkräften, dass nur die Mindestfähigkeiten beibehalten bleiben, allerdings in einer gigantischen Form. Eine Projektion des Inneren nach außen in absurd entgegengesetzter Form, als wollte man in der Sonne das finsterste Loch suchen, die Begrifflichkeit des Knochen- und Knorpelgefüges auf einen Laut reduzieren. Die Bewegungs- und Lebensfunktionen wurden durch Simonyi auf Kisten übertragen. Das räumliche, dreidimensionale Raster der Kisten (Pappkartons), geht durch das aufgetragene Bild in eine Plastik über. Das Bild, die dargestellten Figurenteile, trennt die Katatonie Kiste. Der Bildkanon geht aber mit dem vorher als Grenzlagerung empfundenen Raster einher. Förmlich erleben wir die vierte Dimension, entgegen den Naturwissenschaften diesmal, die Seele. Die Figuren sind auf diesen banalen Kisten sperrig, aber beweglich, die Fratzen  und Gesten sind täuschende Bewegungsmomente, die es gar nicht gibt, aber die man glaubt. Vierseitigkeit, wo der Träger in eklatanter Weise disharmonisch zum dynamischen Bild steht und wiederum das Bild nur durch die Kiste, wie durch das Bausteinelement sein Wachstum erfahren kann, es diszipliniert. Ein belebendes Exerzitium vollzieht sich zwischen Malobjekt und Künstlerin, seltene Schöpfungen des gelungenen Beweises für den Ausbruch aus dem Paneeldenken.

Nicht selten ist in der Kunst die Zwangsneurose die Grundlage des Schaffens, sei es im Minutiösen, wie im Schwerem und Kraftaufwändigen. Der selbst auferlegte Sold ist schmerzhaft und oft ist das Ergebnis weder befreiend, noch geht es mit einer Erfahrung des Verzichtes einher. Die Obsessivität der Kunst Emö Simonyis ist glücklicherweise ein anderes Produkt. Ihre Kunst ist eine einmalige Lebensbejahung, verbündet mit einer Art Befreiungsneurose, die mit einer wundervollen Portion künstlerischer Begabung verbunden ist, die ihrer Kunst die hohe Qualität verleiht.

Die Trends kommen und gehen, sie öffnen und versperren Sehweisen und Vermögen der Rezipienten. Die Kunst, die Emö Simonyi betreibt, sagen wir korrekt: eine expressive Frauenkunst, welche die Zeiten mit Bestimmtheit überlebt, verblüfft ihre männlichen Kollegen - falls es ein Kriterium sein soll - denn  alles ist gewagt und riskant, was rein morphologisch bei ihrer Körpergröße kaum vorstellbar ist. Ihre Leinwandgiganten und Kistenkolosse stehen für sie Wache, und das gibt es für Männer nicht!

         Julia Fabényi,
        8. März 2000
 
 

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